Bedürfnisökonomik

Artikel vom 04.01.2019, 10:07 Uhr.

Zwölfter Stammtisch des REGIO-MARK e.V. am 20. November 2018

Heinrich Haußmann, vor rund 20 Jahren Gründungsmitglied des REGIO-MARK e.V. führte mit einem Impulsreferat in das Thema der Bedürfnisökonomik nach Manfred Max-Neef ein.

Der Chilene Manfred
Max-Neef mit deutschen Wurzelnwurde 1932 geboren, studierte  in Santiago de Chile bevor er beim Ölkonzern Shell arbeitete. Doch schon nach kurzer Zeit wandte er sich von der Industrie ab und den Problemen der Armen in der Dritten Welt zu. Er arbeitete für UN-Organisationen und lehrte an verschiedenen Universitäten in den USA und Lateinamerika.

Max-Neef sieht Bedürfnisse nicht nur als Mangel, sondern gleichzeitig auch als individuelle und kollektive menschliche Potenziale. Im Unterschied zur traditionellen Auffassung, dass menschliche Bedürfnisse unbegrenzt seien, ständigen Wandlungen unterlägen und sich von einer Kultur zur anderen veränderten und in jeder historischen Entwicklungsphase unterschiedlich seien, geht Max-Neef davon aus, dass die menschlichen Grundbedürfnisse begrenzt, zahlenmäßig gering und klassifizierbar sind. Sie stünden miteinander in einer Wechselbeziehung und interagierten.

Nach diesem Modell konstruierte Max-Neef eine Grund-Matrix mit neun Grundbedürfnissen und fügte ihm kurze Zeit später ein zehntes hinzu. Die zehn Grundbedürfnisse sind:

  • Subsistenz  und der Erhalt unseres Lebens durch Nahrung, Kleider, Wohnung,  Umwelt, usw;

  • Schutz,  Geborgenheit, Sicherheit und Vertrauen in die persönliche Zukunft;

  • Zuneigung,  Liebe, Freundschaft, die uns mit anderen Menschen verbindet;

  • Verstehen,  wissenschaftliches Arbeiten an den Fragen, die wir uns in Bezug auf  unsere Welt stellen;

  • Teilhabe  als politische, soziale, kulturelle Mitbestimmung in der Welt in der  wir leben;

  • Muße  als die Möglichkeit für nicht am Nutzen orientierten Zeitvertreib,  der doch persönlich bereichert;

  • kreatives  Schaffen: neues Denken und erschaffen, schöpferisch tätig sein;

  • Identität:  wissen wohin wir gehören und warum wir uns von anderen  unterscheiden;

  • Freiheit  der Gedanken und der Tat;

  • Transzendenz:  die Suche nach den letzten Fragen und den Antworten die übrig  bleiben.


An den ersten beiden Bedürfnissen wurde unter den Gästen exemplarisch diskutiert, wie sie in unserer Ökonomie heute umgesetzt werden. Vor allem wurde immer wieder deutlich, ob bei Nahrung, Kleidung oder dem Schutzbedürfnis des Menschen, wie sehr unser Wirtschaft darauf aus ist, immer neue Bedürfnisse zu kreieren. Für sie scheint es wichtig zu sein, den Menschen als konsumierendes Wesen zu sehen und zu erhalten, um letztendlich ein wirtschaftliches Wachstum zu generieren. Die Renditeziele der Kapitalmärkte müssen erfüllt werden, damit das wirtschaftliche Überleben sicher gestellt ist.

Es tauchte die Frage auf, wie wir uns als Verbraucher dem entziehen können. Es wurden zahlreiche Beispiele genannt wie die Nahrungsmittel über Mitgliedern der Solidarischen Landwirtschaft zu beziehen, Dinge in Repaircafés wieder gang- und brauchbar zu machen. Letztendlich liegt die Macht bei den Verbrauchern, die sie auch nutzen sollten. Eine zentrale Botschaft der Bedürfnisökonomik ist folgender Satz: Werde dir als Mensch deiner wirklichen Bedürfnisse bewusst. Bewusste Menschen sind besser vernetzt und gestalten ihre Umwelt gemeinsam. Das Menschenbild, was hinter diesem Ansatz steht, ist ein aufgeklärter Mensch, der sich über seine Verantwortung der Umwelt und den Mitmenschen gegenüber bewusst ist und sich ihr auch stellt.


Zum Bedürfnisses des Schutzes und der Sehnsucht nach Geborgenheit wurden die Begriffe Heimat und Flucht in den Blickpunkt gestellt. Für Clemens Koch, Vorsitzender des Regio-Mark e.V., der längere Zeit in einem der ärmsten Länder Lateinamerikas gelebt hat, ist Heimat ein Ort des Seins, der Geborgenheit, wo der Mensch in seiner Kultur leben und sich entwickeln kann. Bei Menschen auf der Flucht entfallen diese Werte, stattdessen müssen sie sich immer den neuen Umgebungen anpassen. Daher verlässt laut seiner Erfahrung niemand gerne und freiwillig seine Heimat!

Ein weiteres Bild wurde von Eckhard Göll, Stadtrat in Schwabach, offenbart. In unserer „wirtschaftlich“ geprägten Gesellschaft besteht das soziale Leben aus einem „Geben und Nehmen“. Er stellte in Frage, was könnte sich der Mensch denn nehmen? Lohn, Anerkennung, sein Leben? Ist es nicht vielmehr ein Empfangen? Empfangen, darin waren sich alle Anwesenden einig, klingt viel humaner und weniger aggressiv als das Nehmen.


Einig waren sich die Anwesenden ebenfalls, dass die Bedürfnisökonomik von Max-Neef eine sehr interessante Bereicherung für unser soziales Leben und wichtige Impulse für eine andere Art des Wirtschaftens gibt: Impulse für ein Wirtschaften ohne Wachstumszwang und auch für die Umsetzung eines Bedingungslosen Grundeinkommens.

Auseinander gegangen sind die Gäste mit der Idee, in den nächsten Tagen in der Vorweihnachtszeit bei allen Einkäufen zu hinterfragen, „brauche ich das wirklich?“.

Über diese Erfahrungen werden die Teilnehmer beim nächsten Stammtisch am 15. Januar 2019  um 19:30 Uhr im Mehrgenerationenhaus Flurstraße 52 berichten. Und dabei das Thema der Bedürfnisökonomik weiter vertiefen. Es dürfte wie immer ein spannender und unterhaltsamer, diskussionsfreudiger Abend werden. Herzliche Einladung an alle Interessenten!

  Weiterführende Informationen auf soliblog.org





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