Bargeldabschaffung: Fluch oder Segen?

Artikel vom 19.09.2017, 19:15 Uhr.

Fünfter Stammtisch des REGIO-MARK e.V. am 5. September 2017

Ist nur Bares Wahres? Oder liegt der Segen der Zukunft in einer bargeldlosen Gesellschaft? Fragen, die auch in der Fachwelt heftig und kontrovers diskutiert werden. Um das Spannungsfeld dieser Positionen aufzuzeigen, wurde an diesem Abend mit zwei kontroversen Impulsreferaten in das Thema eingeführt.

Warum sollte das Bargeld abgeschafft werden?

Der aktuelle Trend zeigt, dass immer mehr bargeldlos bezahlt wird. Vorreiter ist hier Schweden, wo es kaum noch die Möglichkeit gibt, mit Bargeld zu bezahlen; Kinder bekommen ihr Taschengeld auf das Smartphone überwiesen und können es mit Apps verwalten und damit einkaufen. Sogar Kollekten in Kirchen werden elektronisch eingesammelt!

Vorteile des bargeldlosen Zahlungsverkehrs werden in einer erhöhten Steuergerechtigkeit gesehen, da alle Transaktionen elektronisch erfasst und nachvollziehbar werden. Überfälle auf Tankstellen oder Einkaufszentren würden deutlich zurückgehen. Ebenso würde der enorme Aufwand für die ganze Logistik des Bargeldes entfallen. Aus geldpolitischer Sicht würde das Anhäufen von Bargeld entfallen: Banken hätten stets einen Überblick über die Geldbestände und könnten diese durch Kredite der Wirtschaft zur Verfügung stellen. Oder wie es aktuell geschieht, hätten sie die Möglichkeit, dem Geld durch „Negativzinsen“ Beine zu machen.

Von den Befürwortern werden als wichtigste Argumente das Ende der Schwarzarbeit und eine Eindämmung von kriminellen Handlungen angeführt. Diese Aussagen sind aber sehr umstritten: die Cyber-Kriminalität würde weiter ansteigen, sie ist ja heute schon kaum einzudämmen. Ferner hat das organisierte Verbrechen bereits eigene Bezahlsysteme; sie sind der Kontrolle durch Staatsgewalten immer einige Schritte voraus. Was erschwert würde, sind die kleinen Drogengeschäfte, die derzeit fast ausschließlich in bar abgewickelt werden.

 

Warum sollte Bargeld dennoch beibehalten bleiben? Diese Frage würde im zweiten Impulsreferat betrachtet.

Zum einen ist die Infrastruktur für bargeldloses Zahlen nicht überall durchgängig möglich. Jeder Mobilfunkbesitzer kennt leidige Erfahrungen mit Funklöchern und bekommt Panik, wenn der Akku einmal fast leer ist. Ferner haben derzeit noch nicht alle Menschen Zugang zu dieser Technik; vor allem ältere und gehandicapte Menschen tun sich damit schwer. Der Wegfall von Bargeld würde eine viele 1000 Jahre alte Tradition auflösen, was viele Menschen als dramatischen Verlust empfinden. Die persönliche Autonomie und die leichtere Kontrolle über das haptische Geld ist für viele Menschen gefühlt ein unverzichtbarer Wert. Hinzu kommt die Angst vor „Negativzinsen“ auf ihr „hart erarbeitetes Geld“; sie sehen darin eine schleichende Enteignung.

 

Die anschließende Diskussion wurde trotz des sehr heiklen Themas, sachlich und ruhig geführt.

Sehr schnell ging man zu einer Bewertungsmatrix über, so dass die Vor- und Nachteile aus verschiedenen Perspektiven und Rollen beurteilt werden konnten; z.B. Aufwand und Kosten der jeweiligen Geldhaltungsform, die Verfügbarkeit, die Sicherheit, Übersichtlichkeit für Kunden, Unternehmer, Banken, Finanzämter, Staat. Überraschenderweise wurden dabei auch neue Möglichkeiten offensichtlich: so z.B. die Möglichkeiten alle Steuern abzuschaffen und diese nur durch eine „Transaktionssteuer“ auf alle Geldtransaktionen zu ersetzen. Wie viel Arbeit für die Steuererklärung und Finanzämter und Steuerberater dadurch entfallen würden!

Am problematischsten wurde gesehen, dass die Vielfalt der Bezahlmöglichkeiten fehlt, was bei einem potentiell möglichen Stromausfall zu einem Desaster und Chaos des gesamten gesellschaftlichen Lebens führen würde. Gleichzeitig eröffneten sich auch neue Chancen: z.B. würde mit dem Wegfall des Bargeldes vermehrt Tauschhandel betrieben, die Geschenkökonomie könnte aufblühen, regionale Gutscheinsysteme wie Pilze aus dem Boden schießen und von Werbegemeinschaften und Kommunen etabliert werden, um die lokale Identifikation und Bindung zu stärken.

 

Als Fazit aus dem Abend kann festgehalten werden, dass eine Bewertung des Bezahlsystems im Wesentlichen von den persönlichen Ängsten der Beteiligten abhängt: ob ich die Möglichkeiten der zunehmenden Transparenz als Vorteil sehe oder als Zwang und weiteren Schritt zur totalen Überwachung. Damit wären wir beim Thema Vertrauen, was letztendlich allen Geldsystemen, jedem Geld, jedem Kredit und allen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handlungen zugrunde liegt.

 

Wiederholt wurde das Thema „Negativzinsen“ angesprochen; damit wird sich der Stammtisch am 7. November beschäftigen: Welchen Sinn und Zweck haben sie? Führen sie zu einer schleichenden Enteignung der Bürger oder sind sie ein adäquates Mittel, die Wirtschaft nachhaltig und sicher zu gestalten?


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